Kopf des Tages Jonathan Pollard
Israels Spion bei der US Navy war ein notorischer Lügner
Mehr als 800 Geheimreports und tausend Nachrichten in 14 Monaten: Jonathan Pollard wollte unbedingt im Geheimdienstmilieu Erfolg haben. Für seinen Traum büßte er drei Jahrzehnte hinter Gittern – die USA blieben hart und verweigerten sich Bitten aus Jerusalem.
| Lesedauer: 4 Minuten
Von Antonia Kleikamp
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Spionieren unter Freunden? „Geht gar nicht“, sagte die damalige Kanzlerin Angela Merkel im Zuge der vermeintlichen NSA-Affäre 2013/14 wiederholt – und offenbarte damit ihr fundamentales Unverständnis des Geheimdienstgeschäfts. Tatsächlich ist das Ausspähen von Freunden nämlich zwar ungehörig, aber dennoch völlig normal. Das zeigt beispielsweise der Fall Jonathan Pollard (Jg. 1954).
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Es gibt in der Weltpolitik nach 1945 wohl keine zwei Staaten, die enger miteinander verbündet waren und sind als Israel und die USA. Trotzdem spionierte Pollard aus eigener Initiative seinen Arbeitgeber, die US-Navy, für Geheimdienstkreise in Israel aus.
1954 in eine jüdisch geprägte Akademikerfamilie geboren, träumte er offenbar schon früh von einer Karriere im Spionagemilieu. Während er Politikwissenschaften auf Bachelor studierte, soll er bereits geraunt haben, er arbeite für den Mossad, sei Offizier der israelischen Armee und habe bei der Bewachung eines Kibbuz einen Palästinenser getötet. Nichts davon stimmte, denn Pollard war ein notorischer Lügner.
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Erstmals 1979 versuchte er, in sicherheitsrelevante Bereiche zu gelangen: Er bewarb sich als Zivilangestellter bei der CIA, wurde aber abgelehnt, nachdem er bei einem Lügendetektortest hatte einräumen müssen, Drogen konsumiert zu haben. Die US Navy hatte offenbar weniger hohe Anforderungen und stellte Pollard ein.
Doch umgehend fiel er wieder auf, und zwar, weil er einen Kontakt mit dem südafrikanischen Geheimdienst initiierte, was weit jenseits seiner Kompetenz und jeder Zuständigkeit lag. Ihm wurde geraten, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen, doch seine bestehende Sicherheitsfreigabe wurde nur reduziert und nach der Untersuchung wieder heraufgesetzt. Im Frühjahr 1984 wechselte er in einen anderen sicherheitsrelevanten Arbeitsbereich der Navy – und begann wenig später, richtig zu spionieren.
Sein Kontaktmann wurde der israelische Jetpilot Aviem Sella, der gerade ein Sabbatical in den USA absolvierte; die beiden hatten sich eher zufällig kennengelernt. Pollard begann, alles an Geheimmaterial weiterzugeben, was er in die Finger bekam. Nach eigenen Schätzungen lieferte er seinen israelischen Partnern innerhalb von gut 14 Monaten mehr als 800 klassifizierte Berichte und mehr als tausend Nachrichten. Vielleicht die größte Menge an Materialien, die jemals in so kurzer Zeit von einem einzelnen Spion verraten wurde.
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Meist dreimal pro Woche brachte er Computerausdrucke, Satellitenfotos und andere geheime Dokumente seiner Abteilung u in verschiedene Wohnungen in Washington D.C. Dort wurden sie kopiert, bevor Pollard sie am nächsten Tag zurückbrachte. Als Gegenleistung für seine Dienste erhielt er neben regelmäßig 1500 Dollar im Monat üppige Geschenke für sich und seine Frau, darunter eine Hochzeitsreise im Orient-Express.
Trotzdem spionierte Pollard eigenen Angaben zufolge nicht des Geldes wegen. Vielmehr habe er sich zwar bezahlen lassen, aber nur „als Beweis dafür, wie gut ich meine Arbeit mache“. Er habe beabsichtigt, „das gesamte Geld zurückzuzahlen, das ich erhalten hatte, und zusätzlich einen Lehrstuhl im Geheimdienst-Ausbildungszentrum des israelischen Generalstabs außerhalb von Tel Aviv einzurichten“.
Direkter Empfänger des Materials war nicht der israelische Nachrichtendienst Mossad, sondern eine spezielle Stabsabteilung, die sich vorwiegend mit Wissenschaftsspionage befasste. Aber natürlich profitierte der Mossad von den hochaufgelösten Satellitenfotos, die Pollard unter anderem weitergab.
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Mehrfach informierten Navy-Mitarbeiter, denen Pollards Umgang mit Geheimmaterial seltsam vorkam, ihre Vorgesetzten. Doch erst Mitte 1985 wurde er erstmals überwacht. Schließlich nahm ihn das FBI am 18. November 1985 fest, als er mit 60 streng geheimen Dokumenten in seiner Aktentasche das Gebäude verließ, in dem sein Büro lag.
Pollard bekannte sich der Spionage schuldig und wurde am 4. März 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine damalige Frau verbüßte eine fünfjährige Haftstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Regierungsdokumenten und ließ sich nach ihrer Entlassung scheiden. Immer wieder versuchten Politiker aus Jerusalem, eine Begnadigung für Pollard zu erreichen, doch erst nach 30 Jahren hinter Gittern wurde er 2015 auf Bewährung freigelassen. Nach weiteren fünf Jahren unter Auflagen in den USA wanderte er mit seiner zweiten Frau nach Israel aus.
Aviem Sella übrigens war 1985 noch rechtzeitig aus den USA geflüchtet, wurde aber in Abwesenheit angeklagt. Israel weigerte sich, den hochdekorierten Offizier auszuliefern, und nahm stattdessen Spannungen mit den USA in Kauf. Sella reichte seinen Abschied bei der israelischen Luftwaffe ein und wurde Geschäftsmann. Erst am letzten Tag seiner Amtszeit begnadigte der scheidende US-Präsident Donald Trump am 20. Januar 2021 den ehemaligen Führungsoffizier von Jonathan Pollard. Seither kann er wieder in die USA einreisen.
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